Komplexität entsteht nicht im Markt – sondern im Kopf der Führung

Etliche Entscheidungsträger erklären die zunehmende Komplexität ihrer Unternehmen mit äußeren Faktoren: mit Märkten, Regulierung, Kundenanforderungen oder der Geschwindigkeit wirtschaftlicher Veränderungen. Diese Erklärungen sind nicht falsch. Sie greifen jedoch zu kurz und dienen oft als Schutzschild.

Komplexität: Mehrere Personen stehen nebeneinander in einem Raum ohne erkennbare Interaktion.

Komplexität in Unternehmen entsteht selten durch den Markt. Warum Führung selbst zum Treiber wird und weshalb Reduktion Orientierung schafft.

Inhaltsverzeichnis

Komplexität entsteht nicht im Markt – sondern im Kopf der Führung

Meist geht der Blick der Verantwortlichen nach außen – und blendet die unbequeme Frage aus, welchen Anteil die eigene Führung an der hausgemachten Komplexität hat. Wer Vielschichtigkeit nur als Schicksal begreift, entzieht sich der Aufgabe, sie aktiv zu gestalten.

Auffällig ist jedoch, dass Unternehmen unter vergleichbaren Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich handlungsfähig bleiben. Während einige Organisationen trotz anspruchsvoller Märkte klare Entscheidungen treffen, Prioritäten setzen und Verantwortung bündeln, verlieren sich andere in Abstimmungen, Sonderfällen und internen Rechtfertigungen. Der Unterschied liegt selten im Markt. Er liegt fast immer in der Art, wie geführt wird.

Die bequeme Erklärung: äußere Umstände

Globalisierung, Digitalisierung und Bürokratie sind reale Herausforderungen. Sie erhöhen die Anforderungen an Unternehmen, keine Frage. Sie erklären jedoch nicht, warum Komplexität in manchen Organisationen eskaliert, während andere mit derselben Umwelt stabil umgehen.

Die Erklärung „Der Markt ist komplex geworden“ wirkt entlastend, weil sie Verantwortung externalisiert. Komplexität erscheint dann als etwas, das man nur noch moderieren oder verwalten kann. Führung beschränkt sich darauf, mit der Komplexität zu leben, anstatt sie zu ordnen. Genau hier beginnt das eigentliche Problem.

Denn wer Multidimensionalität ausschließlich nach außen verortet, übersieht, dass sie sich im Inneren des Unternehmens strukturell verstärken kann – unabhängig von Markt, Wettbewerb oder Regulierung.

Wo Komplexität tatsächlich entsteht

Komplexität entsteht dort, wo keine klare Ordnung gesetzt wird. Sie wächst, wenn zu viele Ziele gleichzeitig verfolgt werden, wenn Prioritäten widersprüchlich bleiben oder Grundsatzentscheidungen bewusst offengehalten werden. Besonders wirksam ist Komplexität dort, wo Entscheidungen vertagt, aber nicht nachgeholt werden.

Jede einzelne Unschärfe ist für sich genommen erklärbar. In ihrer Summe jedoch erzeugen sie ein System, das permanent Ausgleich leisten muss: zwischen konkurrierenden Zielen, zwischen offenen Erwartungen, zwischen nicht geklärten Zuständigkeiten. Das Unternehmen beginnt, sich selbst zu beschäftigen.

Multidimensionalität entsteht dabei selten plötzlich. Sie ist das Ergebnis einer Akkumulation von Nicht-Entscheidungen. Was heute offen bleibt, muss morgen kompensiert werden. Was morgen kompensiert wird, erfordert übermorgen zusätzliche Abstimmung. Auf diese Weise entsteht ein Geflecht aus Abhängigkeiten, das immer schwerer zu durchdringen ist.

In diesem Zustand wird Komplexität nicht mehr als Folge unterlassener Führung erkannt, sondern als gegeben hingenommen. Das führt dazu, dass unternehmerische Orientierung verloren geht.

Der Mechanismus hinter wachsender Vielschichtigkeit

Führung erzeugt Komplexität selten absichtlich. Häufig entsteht sie aus nachvollziehbaren Motiven: Entscheidungen sollen gut abgesichert sein, niemand soll übergangen werden, Risiken sollen minimiert werden. Führung will verantwortungsvoll handeln.

Doch je stärker Führung versucht, alle Perspektiven gleichzeitig zu integrieren, desto mehr verliert sie ihre orientierende Funktion. Entscheidungen werden vorbereitet, aber nicht getroffen. Richtungen werden skizziert, aber nicht festgelegt. Führung bleibt präsent, wirkt jedoch unentschlossen.

Was als Beteiligung gemeint ist, wird als Zurückhaltung erlebt. Was als Absicherung gedacht ist, wirkt wie Unklarheit. Führung sendet dann Vorsicht statt Richtung. Häufig fehlt dabei nicht Information, sondern mentale Klarheit. Für das System bedeutet das: Es muss selbst Orientierung herstellen.

Die Folgen im Unternehmensalltag

Komplexität bleibt nicht abstrakt. Sie zeigt sich im Alltag sehr konkret: in operativer Reibung, in langen Abstimmungsschleifen und in wachsender Entscheidungsmüdigkeit. Prozesse werden aufwendiger, ohne besser zu werden. Verantwortung wird formal verteilt, faktisch jedoch vermieden.

Mitarbeitende beginnen, Entscheidungen abzusichern, statt sie zu treffen. Sie orientieren sich an Erwartungen statt an Zielen. Das System reagiert zunehmend auf sich selbst. Strategische Fragen werden operativ abgearbeitet, ohne je geklärt zu werden.

Nach außen wirkt das Unternehmen kontrolliert und professionell. Nach innen entsteht Ermüdung. Die wirtschaftlichen Folgen von Unsicherheit, Abwarten und Entscheidungsaufschub sind auch für deutsche Unternehmen gut dokumentiert, etwa durch Analysen des Institut der deutschen Wirtschaft. Führung wird nicht mehr als ordnende Instanz erlebt, sondern als Teil des Problems. Die eigentliche Ursache – fehlende Reduktion – bleibt dabei meist unbenannt.

Merksatz

Komplexität lässt sich nicht managen – sie lässt sich nur reduzieren.

Reduktion ist eine Führungsleistung

Reduktion bedeutet nicht Vereinfachung um jeden Preis. Sie bedeutet, bewusst festzulegen, was nicht weiter verfolgt wird. Führung zeigt sich darin, Prioritäten zu setzen, Widersprüche aufzulösen und Entscheidungen zu treffen, die andere Optionen ausdrücklich ausschließen.

Diese Form von Klarheit ist unbequem. Sie verlangt, Unschärfe auszuhalten, ohne sie sofort erklären oder rechtfertigen zu wollen. Reduktion macht sichtbar, wofür Führung steht – und wofür nicht. Genau deshalb wird sie so häufig vermieden.

Orientierung entsteht nicht durch Vollständigkeit

Je mehr Informationen verfügbar sind, desto schwieriger wird es, Relevantes von Irrelevantem zu trennen. Führung entsteht nicht dadurch, alles zu wissen, sondern dadurch, einen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen Entscheidungen möglich werden. In solchen Situationen hilft oft ein strukturierter Blick von außen, um Unschärfen sichtbar zu machen, die intern nicht mehr erkannt werden.

In komplexen Situationen kann dabei ein strukturierter Blick von außen helfen – nicht um Lösungen vorzugeben, sondern um Muster sichtbar zu machen, die intern nicht mehr erkannt werden. Klarheit entsteht nicht durch zusätzliche Optionen, sondern durch bewusste Begrenzung.

Fazit

Komplexität ist selten das eigentliche Problem. Sie ist meist ein Symptom. Ein Symptom fehlender Reduktion, vertagter Entscheidungen und zurückhaltender Führung.

Wer Multidimensionalität dauerhaft verringern will, muss aufhören, sie zu erklären. Er muss beginnen, sie als Führungsfolge zu begreifen – und Verantwortung für Ordnung, Richtung und Begrenzung zu übernehmen.

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